Lexikon

Leukämie

Definition Leukämie

auch bekannt als: Leukose, Blutkrebs

Leukämie Die Leukämie ist eine bösartige Erkrankung des blutbildenden Systems (Knochenmark, Milz, Lymphknoten), die mit quantitativen und qualitativen Veränderungen der weißen Blutkörperchen (Leukozyten) und ihrer Vorstufen im Blut sowie in verschiedenen anderen Organen (Leber, Milz usw.) einhergeht. Nach dem klinischen Verlauf unterscheidet man die akute und die chronische Leukämie, nach dem Ursprung der Leukozyten und dem Blutbild die myeloische und die lymphatische Leukämie sowie einige Sonderformen. Im Gegensatz zur vorherrschenden Meinung muss eine Leukämie keineswegs mit einer Vermehrung der Leukozyten im Blut verbunden sein: mehr als die Hälfte der akuten Leukämien zeigen normale oder sogar erniedrigte Zellzahlen im Blut. In diesen Fällen ist die rasante Wucherung der kranken Leukozyten auf die inneren Organe beschränkt. Grundsätzlich kann man sagen, dass die Leukämie nicht das Resultat einer vermehrten, unkontrollierten Produktion weißer Blutkörperchen ist, sondern, dass der entscheidende Defekt vielmehr in der Reifungsstörung der Leukozyten liegt, die wiederum zur Folge hat, dass die unfertigen Zellen ihre Fähigkeit behalten, sich weiter zu teilen und dadurch gewissermaßen »unsterblich« werden. Die geradezu explosionsartige Vermehrung der noch unreifen weißen Blutzellen führt schließlich zu einer Verdrängung der roten Blutkörperchen (Erythrozyten), der »gesunden« weißen Blutkörperchen und der Blutplättchen (Thrombozyten) im Blut. Durch den Blutkreislauf gelangen die leukämischen Zellen in die verschiedenen Körpergewebe, können sich dort ansiedeln und weiter vermehren, von dort aus aber auch wieder in den Kreislauf zurückgelangen.

Die Ursache der Leukämie ist noch immer unbekannt. Als gesichert gilt, dass ionisierende Strahlen (beispielsweise Röntgen- und radioaktive Strahlen) und einige chemische Substanzen (Alkylantien, Antimetaboliten, Benzolderivate) die Krankheit auslösen können. In manchen Fällen dürften Erbfaktoren eine Rolle spielen. Bei einigen Tierarten konnte man zudem bestimmte Viren als Ursache einer Leukämie nachweisen; beim Menschen fehlt hierfür jedoch jeglicher Beweis. Leukämien sind im Vergleich zu anderen Krebserkrankungen wie z. B. bösartigen Tumoren der Brust, des Dickdarms oder der Lunge eher selten. In Deutschland werden pro Jahr etwa 9000 Menschen von einer Leukämie betroffen, wobei fast drei Viertel zum Zeitpunkt der Diagnose über 60 Jahre alt sind. Nur 500 bis 600 Patienten sind Kinder unter 15 Jahren.

Die Symptome von Leukämien werden vorrangig durch die Behinderung der normalen Blutbildung hervorgerufen und erst in zweiter Linie von den entarteten Zellen selbst.

Die Krankheitszeichen der akuten Leukämien sind sehr vielfältig. Sie beginnen meist aus völliger Gesundheit heraus mit schwerem Krankheitsgefühl, Blässe, Fieber, häufig auch mit einer hartnäckigen Infektion. In vielen Fällen klagen die Patienten über häufiges Nasen- oder Zahnfleischbluten und eine verstärkte Neigung zu blauen Flecken. Gelegentlich, besonders bei jüngeren Patienten, sind Knochenschmerzen die ersten Symptome einer akuten Leukämie. Appetitlosigkeit, Gewichtsverlust, Müdigkeit. Nachtschweiß und »Leistungsknick« sind ebenfalls Zeichen der schweren Systemerkrankung.

Bei der körperlichen Untersuchung finden sich in manchen Fällen vergrößerte Lymphknoten, etwa am Hals, in den Achselhöhlen oder in der Leiste. Leber und Milz sind bisweilen geschwollen, was sich z. B. in einem Völlegefühl nach Mahlzeiten äußern kann. Ausgesprochen charakteristisch für eine akute Leukämie ist allerdings keines dieser Symptome. Alle genannten Beschwerden oder Störungen können auch bei anderen Erkrankungen vorkommen. Die Diagnose wird allein aufgrund des Nachweises unreifer Zellen im Blut und im Knochenmark gestellt.

Im Kindesalter herrschen akute Leukämieformen vor, wobei die akute lymphatische Leukämie (ALL) infolge Reifungsstörung der Lymphozyten, einer Untergruppe der weißen Blutkörperchen, über 70 Prozent aller Krankheitsfälle ausmacht. Die akute myeloische Leukämie (AML) findet man bei etwa 20 Prozent der an Leukämie erkrankten Kinder; bei dieser Leukämieform vermehren sich die unausgereiften Granulozyten, ebenfalls eine Untergruppe der weißen Blutkörperchen, rapide.

Obwohl die Leukämie im Kindesalter eine verhältnismäßig seltene Erkrankung ist, ist sie an mehr als der Hälfte aller Krebsfälle von Kindern und Jugendlichen schuld. Dabei äußern sich die Veränderungen im kindlichen Organismus durch folgende charakteristische Warnzeichen:

- Fieber ohne äußerlichen Grund;

- Blässe und »Durchsichtigkeit« des Kindes;

- schwer zu stillende Blutungen (Nasen-, Zahnfleisch- und Hautblutungen);

- blaue Flecken (Blutergüsse) schon bei geringen äußeren Einwirkungen (Fall, Stoß);

- wechselnde Knochen- und Gelenkschmerzen;

- Müdigkeit und ungewohnte Lustlosigkeit;

- Appetitlosigkeit und Bauchschmerzen;

- Schwellung von Lymphknoten.

Auch wenn diese Warnzeichen natürlich andere, harmlose Ursache haben können, sollten sie die Eltern unbedingt zum Aufsuchen eines Arztes veranlassen.

Chronische Leukämien beginnen schleichend und werden oft zufällig durch eine Routineuntersuchung festgestellt. Auch hier können jedoch allgemeine und unspezifische Krankheitssymptome wie Müdigkeit, Leistungsminderung, Gewichtsverlust, allgemeines Unwohlsein, aber auch Fieber und Nachtschweiß erste Anzeichen sein. Bei der chronisch myeloischen Leukämie (CML) findet sich oft eine starke Milzschwellung. Dagegen geht die chronisch lymphatische Leukämie CLL in den meisten Fällen mit Lymphknotenschwellungen einher; auch Hautjucken, Ausschläge und Infektionen sind nicht selten. Die Vielfältigkeit der möglichen Symptome, die für sich alle nicht »typisch« sind, weil sie auch bei vielen anderen Erkrankungen auftreten können, machen es auch hier nicht leicht, eine Leukämie auf Anhieb zu erkennen, und lassen zunächst nur eine Verdachtsdiagnose zu. Die Behandlung wird in 2 großen Abschnitten durchgeführt:

1. mehrwöchige, sehr intensive stationäre Behandlung: Dabei erfolgt eine hoch dosierte, kombinierte Chemotherapie mit Zytostatika, um innerhalb eines Monats mindestens 95 Prozent aller Leukämiezellen zu zerstören. Wenn das gelingt, spricht man von einer Remission. Zusätzlich erhalten die Patienten Schädelbestrahlungen, um Herde im Zentralnervensystem auszuschalten, sowie eventuell Vollblut- und Blutplättchentransfusionen und Antibiotika.

2. zumeist häusliche Erhaltungsbehandlung mit verschiedenen Chemotherapeutika über 2,5-3 Jahre. Aus der Remission soll eine Heilung werden.

Während noch 1970 beide Leukämieformen fast ausnahmslos nach wenigen Monaten mit dem Tod endeten, gelingt es bei der akuten lymphatischen Leukämie heute, bei allen Kindern eine Remission zu erreichen; ja, 80 Prozent der Kinder werden sogar ganz geheilt. Die akute myeloische Leukämie ist schwerer zu behandeln: Hier beträgt die Remissionsrate nur 60-70 und die Heilungsrate 50 Prozent.

Für Kinder, die auf die Leukämiebehandlung nicht oder nur teilweise ansprechen bzw. bei denen es in immer kürzeren Abständen zu Rückfällen kommt, bringt die Knochenmarktransplantation eine neue Überlebenschance. Dabei gibt es 2 Methoden: Dem kranken Kind wird entweder während einer Remission gesundes Knochenmark entnommen, bei minus 196°C eingefroren und beim nächsten Rückfall zurückübertragen, oder - wenn das kranke Kind eine Schwester oder einen Bruder mit identischen weißen Blutkörperchen hat - dem gesunden Kind wird in Narkose Knochenmark aus dem Beckenkamm entnommen und auf das kranke Kind übertragen.

Eine Weiterentwicklung des Verfahrens der Blutstammzelltransplantation, die sich in den letzten Jahren zunehmend durchsetzt, besteht darin, nicht mehr Knochenmark zu übertragen, sondern Stammzellen der Blutbildung aus dem Blutkreislauf. Man nennt dies periphere Blutstammzelltransplantation. Durch Vorbehandlung mit einem Wachstumsfaktor der Blutbildung treten vermehrt Blutstammzellen aus dem Knochenmark in den Blutkreislauf über und können zusammen mit anderen weißen Blutzellen aus Venenblut gesammelt werden. Mit 2-3 solchen Sammlungen lässt sich meist eine ausreichende Zahl von Stammzellen gewinnen. Diese Methode ist für den Spender weniger belastend, weil die Knochenmarkentnahme in Narkose wegfällt. Auch kommt beim Empfänger die Blutbildung nach der Transplantation von peripheren Stammzellen schneller wieder in Gang als nach Übertragung von Knochenmark, sodass sich die Phase der Infektionsgefährdung verkürzt.

Bei Erwachsenen sind die Ergebnisse bis jetzt noch nicht so günstig. Bei der akuten lymphatischen Leukämie werden Remissionen in 50-70 Prozent der Fälle erreicht; die mittlere Überlebenszeit beträgt aber nur 28 Monate. Die akute myeloische Leukämie führt ohne Behandlung innerhalb von 40-100 Tagen nach Diagnosestellung zum Tod. Bei etwa 70-85 Prozent der Patienten kann eine Vollremission erzielt werden, die 6-14 Monate und länger anhält.

Aussicht auf eine deutliche Verbesserung in der Therapie der chronisch-myeloischen Leukämie verspricht ein Medikament, das amerikanische Wissenschaftler entwickelt haben. Das Präparat greift ein Enzym an, das die Entwicklung von Leukozyten beschleunigt und damit die Leukämie auslöst.