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Diabetes mellitus

Definition Diabetes mellitus

auch bekannt als: Zuckerkrankheit

Diabetes mellitus Chronische Stoffwechselerkrankung, die auf einem Mangel am Bauchspeicheldrüsenhormon Insulin beruht. Von der Zuckerkrankheit sind in Deutschland rund eine halbe Million Menschen betroffen, darunter etwa 20.000 Kinder. Man geht sogar davon aus, dass die Zahl der Erkrankten weiter steigen und dass in nicht allzu ferner Zeit jeder zehnte Deutsche an Diabetes leiden wird. Schon jetzt kostet die Behandlung die deutsche Volkswirtschaft jährlich rund 30 Milliarden Mark.

Das in den B-Zellen des Inselorgans der Bauchspeicheldrüse gebildete Insulin kontrolliert den Zuckerhaushalt, indem es den Transport von Traubenzucker (Glukose) in die Muskel- und Fettzellen bewirkt, wo der Zucker der Energiegewinnung dient. Außerdem stimuliert Insulin den Aufbau von Glykogen aus Traubenzucker in Fettgewebe, Muskulatur und Leber und hemmt die Neubildung von Glukose in der Leber. Bei Insulinmangel fallen diese Funktionen in unterschiedlichem Maß aus, woraufhin der Zuckergehalt des Blutes ansteigt (Hyperglykämie). Da Insulin außerdem den Fettabbau in Fettgewebe und Leber hemmt, wird bei Insulinmangel vermehrt Fett freigesetzt, wodurch der Körper mit sogenannten Ketonkörpern überschwemmt wird. Der normale Gegenspieler des Insulins ist das in den A-Zellen des Inselorgans gebildete Hormon Glukagon, das bei starkem Abfall des Blutzuckers für die Aufrechterhaltung einer ausreichenden Zuckerkonzentration im Blut sorgt. Blutzuckersteigernd wirken zudem die Katecholamine, das Wachstumshormon (Wachstum), die Corticosteroide, die Hormone der Schilddrüse, das ACTH (adrenocorticotropes Hormon) sowie die Östrogene.

Man unterscheidet 2 Hauptformen des Diabetes:

  • Der Typ-I-Diabetes ist der Jugendliche, insulinabhängige Diabetes, der weniger stark vererbt wird als der zweite Diabetestyp und nur 10 Prozent aller Krankheitsfälle ausmacht. Das Alter der Patienten beträgt bei Ausbruch der Krankheit meist 15-24 Jahre. Es scheint allerdings so zu sein, dass noch weitere auslösende Faktoren wie Virusinfekte und/oder immunologische Prozesse notwendig sind, die die B-Zellen der Bauchspeicheldrüse schädigen. Die Anzeichen treten akut auf; die Patienten sind selten übergewichtig.
  • Der Typ-II-Diabetes hat eine wesentlich stärker ausgeprägte Vererbbarkeit; sein Anteil an der Gesamtheit der Diabetes-Erkrankungen beträgt 90 Prozent. Er tritt meist erst nach dem 40. Lebensjahr auf, nimmt mit steigendem Alter zu und ist insulinunabhängig. Die Symptome treten langsam auf. Der Typ-II-Diabetes kommt durch eine Fettsucht infolge Überernährung zum Ausbruch, wobei neueste Forschungsergebnisse den Verdacht nahe legen, dass daran ein von den Fettzellen gebildetes Hormon schuld ist.

Die Zuckerkrankheit, die auch durch Stresssituationen, Schwangerschaft und Infekte ausgelöst werden kann, ist häufig mit Arteriosklerose und Hypertonie (Bluthochdruck) verbunden. Bis zum Lebensalter von 40 Jahren tritt sie bei beiden Geschlechtern gleich häufig auf; später überwiegt das weibliche Geschlecht (Frauen: Männer = 3 : 2).

Die Hälfte der Diabetiker stirbt an einer Koronarsklerose (Verengung der Herzkranzgefäße) und weitere 12 Prozent an der Arteriosklerose anderer Blutgefäße. Stündlich erblindet in Deutschland ein Mensch an den Folgen, und Tag für Tag erleiden bundesweit durchschnittlich 75 Diabetiker einen Herzinfarkt. Außerdem erkranken jährlich fast 45 000 Betroffene an einem Schlaganfall, und bei ca. 30.000 Patienten muss ein nicht mehr ausreichend durchbluteter Fuß amputiert werden.

Die wichtigsten Krankheitszeichen sind in der Reihenfolge ihrer Häufigkeit: Durst, vermehrter Urinabgang, Leistungsminderung, Gewichtsabnahme und Juckreiz. Daneben leiden Diabetiker unter Hauteiterungen, Nervenentzündungen, Furunkulose, schlecht heilenden Wunden, nachlassender sexueller Begierde sowie Entzündungen der Schleimhäute von Mund und Geschlechtsorganen. Auch Heißhunger, Übelkeit, Erbrechen, Muskelkrämpfe, Schwitzen, Zittern und Sehveränderungen kommen häufig vor.

Die Diagnose beruht auf dem Nachweis des erhöhten Nüchternblutzuckers (über 120 mg/ dl). Werte von 200 mg/ dl und mehr nach Zuckerbelastung sowie das Vorkommen von Zucker im normalerweise zuckerfreien Urin weisen ebenfalls auf einen Diabetes hin. Zudem sind meist auch Blutfette (Fettstoffwechselstörungen) und Harnsäure (Gicht) erhöht. Für Reihenuntersuchungen auf Diabetes eignen sich Teststreifen, die in den Harn getaucht werden, wobei allerdings zu berücksichtigen ist, dass ein erhöhter Blutzuckerspiegel (Hyperglykämie) sowie eine Zuckerausscheidung mit dem Harn auch bei anderen Erkrankungen vorkommen, so z. B. bei der , Schilddrüsenüberfunktion, der Überfunktion der Nebennierenrinde, bei Stress, manchen Magen- und Lebererkrankungen sowie nach Einnahme verschiedener Medikamente.

Während der Typ-I-Diabetes rasch voranschreitet - bei Kindern ist innerhalb von 4 Jahren das Stadium des totalen Insulinmangels erreicht -, ist der Typ-II-Diabetes durch eine langsamere Entwicklung über Jahre und Jahrzehnte gekennzeichnet, wobei sich Verschlechterungen und beschwerdefreie Intervalle (Remissionen) abwechseln können.

Bei jedem Zuckerkranken sind daher regelmäßige Verlaufskontrollen notwendig:

  • alle 6 Monate eine körperliche Untersuchung (Gewicht, Blutdruck, Fußpuls, Augenhintergrund, Haut) sowie eine eingehende Harnuntersuchung;
  • regelmäßige Blutzuckerbestimmungen;
  • regelmäßige Harnzuckerbestimmungen mit Teststreifen;
  • einmal jährlich eine umfassende Kontrolle zur Erfassung möglicher Spätkomplikationen (EKG, Röntgenaufnahme des Brustkorbs, augenärztliche und nervenärztliche Untersuchung, verschiedene Blutuntersuchungen).Daneben gehört die regelmäßige Selbstkontrolle zur Basis jeder Diabetes-Therapie:1. Blutzucker-Selbstkontrolle: bei allen Zuckerkranken, die Insulin spritzen, je nach Zustand und Art der Behandlung täglich 1-4 Messungen, unter Umständen sogar noch häufiger. Dazu gibt es 2 Möglichkeiten:
  • Teststreifen, auf den ein Tropfen Blut aus Fingerspitze oder Ohrläppchen aufgebracht wird, woraufhin die mit einer Skala verglichene Verfärbung die Schätzung des Blutzuckerwertes erlaubt.
  • Blutzuckermessgeräte, mit deren Hilfe das Ergebnis schon nach 45 Sekunden abgelesen werden kann.

2. Harnzucker-Selbstkontrolle: einmal täglich nach der Mahlzeit.

3. Azeton-Selbstkontrolle mittels Urin-Teststreifen: einmal täglich bei Typ-I-Diabetikern sowie bei sehr hohen Blutzuckerwerten.

4. regelmäßige Überprüfung von Gewicht und Blutdruck.

Das Schicksal des Zuckerkranken wird in erster Linie vom Ausmaß begleitender Gefäßkrankheiten bestimmt, die vor allem Nieren, Augenhintergrund, Herz und Extremitäten betreffen. Die Folgen können Netzhautveränderungen. Glaskörperblutungen und Erblindung, Verhärtung der kleinsten Nierengefäße mit Nierenversagen, Koronarsklerose, Zerebralsklerose, Durchblutungsstörungen der Beine mit Gefahr der Gangrän (Brand) sowie mehrfache Nervenentzündungen mit Schmerzen, Empfindungsstörungen und Muskelkrämpfen sein.

Bei mehr als 1 Prozent der Diabetiker tritt die Zuckerkrankheit schon vor dem 17. Lebensjahr auf, am häufigsten zwischen dem 7. und 12. Lebensjahr. Um in solchen Fällen einen milderen Krankheitsverlauf zu erreichen, muss die Behandlung des jugendlichen Diabetes »aggressiv« sein und täglich mehrere Injektionen kurz wirkender Insuline bei ständigen Harn- und Blutzuckerselbstkontrollen sowie häufigen ärztlichen Untersuchungen umfassen. Damit wird ein normaler Blutzuckerspiegel unter dem Risiko gelegentlicher Zustände von »Unterzuckerung« (Hypoglykämie) angestrebt. Medikamente in Tablettenform (orale Antidiabetika) verbieten sich hier.

Die Fortschritte der Diabetestherapie haben zur Folge, dass heute in zunehmendem Maß auch zuckerkranke Frauen Kinder bekommen. Wichtig ist dabei vor allem eine gute Stoffwechseleinstellung während der Schwangerschaft mit laufender Überwachung der Mutter und später auch des Fetus. Durch enge Zusammenarbeit zwischen Internisten, Geburtshelfer und Kinderarzt lassen sich die Sterblichkeit sowie das Risiko von Missbildungen vor, während und nach der Entbindung erheblich senken. Allerdings weisen die Neugeborenen zuckerkranker Mütter oft neben Zeichen der Unreife ein deutliches Übergewicht auf.

Die schwerste akute Komplikation des Diabetes ist das diabetische Koma: eine bis zur Bewusstlosigkeit fortschreitende Stoffwechselentgleisung durch einen absoluten Mangel an Insulin, von der vor allem Frauen unter 20 und über 60 betroffen werden. Auslösende Ursachen sind Erkrankungen, die den Insulinbedarf erhöhen, beispielsweise Infekte, Magen-Darm-Störungen, Herz- und Kreislauferkrankungen sowie Operationen. Anzeichen des diabetischen Komas sind erhebliche Harnflut. Austrocknung des Körpers, Durst, Erbrechen, Schwäche, Oberbauchbeschwerden, stark beschleunigter Puls, Blutdruckabfall, Apathie und Schläfrigkeit. Typisch ist zudem eine massiv verstärkte, tiefe Atmung. Wegen der in diesem Fall immer vorhandenen Lebensgefahr ist unbedingt eine intensive Behandlung notwendig, die zu einer schnellen und vollständigen Erholung führt.

Zur Behandlung der Zuckerkrankheit gehört zum einen eine angemessene Diät und zum anderen die Therapie mit oralen Antidiabetika und Insulin. Von großer Bedeutung ist zudem regelmäßige körperliche Betätigung.

Die Diabetesdiät soll »kaloriengerecht« sein; das heißt, dass sich die dem Patienten zuzubilligende Kalorienmenge nach Lebensalter, Körpergewicht und beruflicher Tätigkeit richten muss. Im Allgemeinen soll die Diät knapp an Kalorien, dabei jedoch eiweißreich, kohlenhydrat- und fettreduziert sein, wobei die Nahrungsmenge auf 6-7 kleine Mahlzeiten über den Tag zu verteilen ist. Die Grundnährstoffe sollen wie folgt in der Nahrung enthalten sein: Kohlenhydrate 45-50 Prozent, Eiweiß 15-20 Prozent, Fette 35 Prozent. Berechnungsgrundlage ist die Broteinheit (BE): 1 BE = 12 g Kohlenhydrate (das entspricht 25 g Schwarzbrot oder 60 g Kartoffeln). Die Hälfte der Kohlenhydrate sollte in Form von Obst oder Gemüse aufgenommen werden; verboten sind solche, die der Körper schnell aufnimmt, wie Zucker, Süßigkeiten, Kuchen, Torten, Schokolade, Kekse, Speiseeis, Marmelade, Honig, Limonaden, überreifes Obst, Datteln, Feigen, Weintrauben, Süßweine, Liköre, Schnäpse, Sekt und gewöhnliches Bier. Zuckeraustauschstoffe wie Fruchtzucker (Fruktose), Xylit und Sorbit werden zwar gut vertragen, führen in größeren Mengen jedoch oft zu heftigen Durchfällen, sodass sie nur eingeschränkt verwendbar sind. Daneben sollten reichlich Ballast- und Quellstoffe zugeführt werden, da sie blutzucker- und cholesterinsenkend wirken.

Bei den verschiedenen, speziell für Diabetiker angebotenen Lebensmitteln handelt es sich um teure Spezialzubereitungen, die bei der Berechnung der Kohlenhydrate selbstverständlich mitberücksichtigt werden müssen und auf die man getrost verzichten kann. Bei alkoholischen Getränken muss sowohl der Kohlenhydratanteil als auch der Kaloriengehalt in Rechnung gestellt werden.

Die medikamentöse Behandlung mit oralen Antidiabetika nimmt eine Mittelstellung zwischen diätetischer Therapie und Insulinbehandlung ein. Dabei gibt es 3 Gruppen von Medikamenten:

I. Sulfonamidabkömmlinge (Sulfonylharnstoffe): Damit können nur Typ-II-Diabetiker behandelt werden, bei denen allein durch Diät keine ausreichende Blutzuckersenkung zu erzielen ist, die jedoch noch über eine gewisse körpereigene Insulinproduktion verfügen, wobei zu berücksichtigen ist, dass die Einnahme der Tabletten eine Diät keinesfalls unnötig macht. Bei Schwangerschaft und Leberkrankheiten dürfen diese Arzneimittel nicht eingenommen werden. Als Nebenwirkungen treten gelegentlich Magen-Darm-Beschwerden auf.

2. Biguanidinderivate: Ihr Wirkungsmechanismus ist nicht genau erforscht. Wegen bestimmter Nebenwirkungen sind sie in vielen Ländern aus dem Handel gezogen worden.

3. Acarbose: Diese Substanz bewirkt eine Verzögerung bzw. Hemmung der Aufnahme von Kohlenhydraten aus dem Dünndarm ins Blut, wodurch höhere Blutzuckerwerte vermieden werden. Als Nebenwirkungen können Blähungen, Durchfälle und Darmgeräusche auftreten.

Die Insulinbehandlung hat bis heute nichts von ihrer Bedeutung verloren. Vor allem Typ-I-Diabetiker sind auf die tägliche Injektion angewiesen, und nicht wenige Patienten, die jahrelang ausreichend mit Diät und oralen Antidiabetika behandelt werden können, müssen später darauf umgestellt werden.

Es gibt 3 Arten von Insulinpräparaten:

I. Alt- oder Normalinsulin: Es zeichnet sich durch schnellen Wirkungseintritt und kurze Wirkungsdauer (5-7 Stunden) aus.

2. Depotinsuline:

  • Intermediärinsuline: Ihre Wirkung tritt langsam ein, hält dann jedoch 12-24 Stunden an.

  • Langzeitinsuline: Auch hier ist der Wirkungseintritt langsam; die Wirkungsdauer beträgt jedoch über 24 Stunden.

    3. Kombinationsinsuline (Mischung von Alt- und Intermediärinsulinen): Kennzeichnend sind schneller Wirkungseintritt und mittellange Wirkungsdauer (9-14 Stunden). Die Zahl der täglichen Injektionen und die Größe der einzelnen Dosis müssen während der Einstellung im Krankenhaus festgelegt werden, was mitunter ein langwieriger Prozess ist. Wichtig ist darüber hinaus, dass sich der Insulin spritzende Zuckerkranke an folgende Leitsätze hält:

  • Die Insulinmenge niemals ohne zwingenden Grund eigenmächtig ändern

  • Keine der vorgeschriebenen Mahlzeiten auslassen

  • Bei stärkeren körperlichen Anstrengungen besonders vorsichtig sein

    Einen wichtigen Schritt in die Zukunft der Diabetestherapie stellen die Insulinpumpen dar, bei denen es sich um miniaturisierte, batteriebetriebene elektronische Infusionsgeräte handelt, die nicht größer als eine Zigarettenschachtel sind und etwa 200 g wiegen. Sie enthalten das Insulin in einer mit einem Katheter verbundenen Glaspatrone. Nachdem der Patient die Nadel des Katheters im Unterhautgewebe der Bauchhaut versenkt hat, gibt das Gerät ständig eine Basismenge Insulin ab, die vor jeder Mahlzeit erhöht werden kann. Eine solche Insulinpumpe erlaubt dem Träger eine flexiblere Gestaltung der Mahlzeiten und des Tagesablaufs, da er keine festen Spritz- und Essenszeiten mehr einzuhalten hat. Allerdings muss er 3-4 Blutzucker-Selbstkontrollen pro Tag vornehmen, um die Basis- und Zusatzraten an Insulin richtig zu wählen. Eine weitere Neuerung ist ein Injektionsgerät in Füllhaltergröße und -form, mit dem man durch einfaches Drehen die gewünschte Insulinmenge gut sichtbar einstellen und mittels Knopfdruck über eine Kanüle unter die Haut spritzen kann.

    Neuere Forschungsergebnisse lassen darauf hoffen, dass schon bald bei vielen Betroffenen zumindest ein Teil der Spritzen durch Inhalationen (Einatmen) ersetzt werden kann. Dagegen ist die »künstliche Bauchspeicheldrüse«, die in den Körper des Kranken eingesetzt wird und ihn wie einen Gesunden fortlaufend mit der benötigten Insulinmenge versorgt, noch Zukunftsmusik.

  • Abbildungen

    • Diabetes-mellitus_Fuß_Diabetisches_Fußsyndrom.jpg

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